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Rudolf Schottlaender
Der erste deutsche Proust-Übersetzer


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Rudolf Schottlaender um 1926, zur Zeit seiner Proust-Übersetzung
Diese Website behandelt den bekannten Philosophen, Altphilologen und politischen Publizisten Rudolf Schottlaender (05.08.1900 – 04.01.1988) als ersten deutschen Übersetzer von Marcel Prousts "Der Weg zu Swann“ (1926).

Der Schriftsteller Stephan Reimertz (geb. 1962) plädiert in seinem Artikel für die Verdienste dieser von Hermann Hesse, Thomas Mann, Robert Musil u. a. dankbar aufgenommenen Übersetzung des ersten Teils von Prousts Romanwerk "A la recherche du temps perdu“ und deckt verborgene Zusammenhänge der Entstehungs- und Wirkungsgeschichte von Schottlaenders Pionierarbeit auf.


Zuerst in: Frankfurter Allgemeine, 18. Januar 1995, Nr. 15, S. 28

Dieser Proust war ein seltener Genuß

Aber niemand gedenkt seines ersten deutschen Übersetzers:
Ein Plädoyer für Rudolf Schottlaender

Die deutsche Wirkungsgeschichte von Marcel Proust muß neu geschrieben werden, jedenfalls ihr erstes Kapitel. Darin kommt ein Übersetzer vor, der nach verbreiteter Lesart die Rezeption Prousts in Deutschland beinahe verpfuscht hätte. Er heißt Rudolf Schottlaender. Von ihm stammt die erste deutsche Proust-Übersetzung.

Schottlaender, geboren im Jahr 1900 in Berlin und dort 1988 gestorben, hatte einen ungewöhnlichen und zugleich repräsentativen deutschen Lebensweg. Er entstammt einer voll assimilierten jüdischen Familie und trat als Anhänger Spinozas 1921 aus der Jüdischen Gemeinde aus. Ohne seine Heimatstadt zu verlassen, erlebte er fünf deutsche Staaten: Kaiserreich, Weimarer Republik, Nazi-Deutschland, West-Berlin und die DDR. Stets blieb er in der philosophischen Opposition. Von seinem Vater Leopold, dem Chef des Textilfachverlages "Der Konfektionär“, hatte er eine insistierende Beredsamkeit geerbt. Bereits gegen Ende seiner Gymnasialzeit wurde der junge Schottlaender zum Kriegsgegner. Er sah mit Bestürzung, wie das geistige Lebens in der Kriegspropaganda unterging. Auch die Zwanziger Jahre in Berlin beeindruckten den Studenten Husserls, Heideggers und Nicolai Hartmanns nicht; er hielt sie für eine "Scheinblüte“.

Schottlaender überlebte als Jude das Dritte Reich, zum Schluß versteckten ihn Angehörige der Halbwelt in einer Portiersloge. Nach dem Krieg stieß er als Philosophieprofessor im Deutschland des Kalten Krieges an die Grenzen beider Systeme. An der Technischen Hochschule Dresden wurden seine Vorlesungen als "anglo-amerikanische Propaganda“ geschmäht. Als er nach West-Berlin floh, hielt man ihn dort für einen Kommunisten; er fand keinen Lehrstuhl. Schließlich unterrichtete er Alte Sprachen an einem Gymnasium. Als er öffentlich zum Dialog mit dem Osten aufrief, ließ ihn der SPD-Innensenator Joachim Lipschitz aus dem Unterricht abführen. Der West-Berliner Senat entzog ihm die Lehrbefugnis und erkannte ihm den Status als "politisch-rassisch Verfolgter“ ab. Beide Maßnahmen mußten zwei Jahre später rückgängig gemacht werden.

Ende 1959 übernahm Schottlaender einen Lehrstuhl für Alte Sprachen an der Ost-Berliner Humboldt-Universität; die Philosophie, sein Gebiet, vertrauten die Kommunisten nur ihresgleichen an. Nach dem Bau der Mauer wurde der Wohnsitz in West-Berlin unhaltbar; Schottlaender zog mit seiner Familie nach Berlin-Hirschgarten bei Köpenick, wo er bis zu seinem Tode lebte.

In den achtziger Jahren legte er neben seiner Autobiographie "Trotz allem ein Deutscher“ eine philosophische Sprachkritik unter dem Titel "Synopsis“ und die Monographie "Verfolgte Berliner Wissenschaft“ vor. Sein Ruf als Übersetzer fußt auf der populären einbändigen Sophokles-Gesamtausgabe für den Aufbau-Verlag.-->

2003 ist eine französische Übersetzung der Autobiographie ("Trotz allem ein Deutscher“) und einiger Essays von Rudolf Schottlaender erschienen.

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