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Rudolf Schottlaender
Der erste deutsche Proust-Übersetzer

Proust als Jude - dieses heute in der deutschen Romanistik so beliebte Thema hat schon den jungen Schottlaender beschäftigt, als er begann, den "Swann“ zu übersetzen. Er hebt in diesem Zusammenhang die zentrale Bedeutung der Mutter im Roman hervor. Diese Figur hat mit Marcel Prousts Mutter, die aus der jüdischen Familie Weil stammte, manche Ähnlichkeit. Schottlaender weist darauf hin, daß Proust nach jüdischer Auffassung als Jude zu gelten und eine besonders spannungsvolle Beziehung zur französischen Identität habe, die er gleichwohl wie kein anderer ausfülle, "denn französischer als Marcel Proust kann wohl kein Autor sein“.

Schottlaender hat damit ein Thema angeschnitten, das Leser und Interpreten seit Anfang der achtziger Jahre stark beschäftigt: "Swann selbst, um den der erste Band ... sich dreht, ist Jude, ein hochkultivierter reicher Kunstfreund, den sein Verkehr mit Adeligen in keiner Weise zum Snob gemacht hat; während ein anderer Jude in Marcels Umgebung, Bloch, schon eher einige Züge trägt, die von Antisemiten im judenfeindlichen Sinn glossiert werden könnten. Aber Proust beschönigt nichts; auch konnte er die Aufrichtigkeit um so eher wagen, als die judenfeindlichen ,Antidreyfusards' in Frankreich, wenigstens unter möglichen Lesern seiner Bücher, wohl ausgespielt hatten.“

In seiner Autobiographie "Trotz allem ein Deutscher“ rekapitulierte Schottlaender Mitte der achtziger Jahre auf vier Seiten des Typoskripts auch die Geschichte der ersten Proust-Übersetzung. Als Schottlaender vom Herder Verlag gebeten wurde, das Typoskript für den üblichen Umfang der Taschenbuchreihe "Lebenswege“ zu kürzen, beschloß er zunächst, die Passage über seine Proust-Übersetzung herauszunehmen, da sie nicht den Schwerpunkt seines Schaffens darstellte. Erst nach heftigem Zuraten seiner Verwandten und Freunde, darunter Günther Anders und Elisabeth Freundlich in Wien, bat er den Verlag, diese Kürzung wieder rückgängig zu machen.

Doch es war zu spät, das Buch befand sich bereits im Druck. Die Ergänzung erschien, auf Vermittlung von Schottlaenders Tochter Irene Selle, postum in der Fachzeitschrift "Connaissance de la R.D.A.“ (Université de Paris VIII, Dezember 1988, Nr. 27). Die gesamte Proust-Literatur wiederholte dennoch brav das Verdikt von Curtius, ohne die Geschichte dieser Veröffentlichung zu kennen. Eine Ausnahme bildet Nathalie Mälzer in ihrer Studie "Proust oder ähnlich. ProustÜbersetzen in Deutschland“, die 1996 im Berliner Verlag "Das Arsenal“ erschien.

STEPHAN REIMERTZ

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